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Ausschließeritis - wenn Bedenken stärker sind als Offenheit

1. Rote Linien, bevor überhaupt gesprochen wird

In meiner Arbeit als Personalberater beobachte häufig ein Phänomen, das ich „Ausschließeritis“ nenne. Noch bevor ein Austausch stattfindet, werden Optionen vom Tisch genommen - wie in der Politik, wenn Koalitionspartner bereits zu Beginn von Verhandlungen rote Linien ziehen und damit den möglichen Raum verengen.

Das Verrückte ist: Viele der Kandidaten, die Jobangebote früh ausschließen, sind eigentlich offen und wechselinteressiert und umgekehrt möchten viele Unternehmen eigentlich eine große Bandbreite an möglichen Kandidaten kennenlernen. Aber statt „Lass uns dazu sprechen“ kommen zu oft Vorbehalte, Fragen, Bedenken und damit Hürden.


2. Wenn Kandidaten zu früh ausschließen

Ich sende interessierten Kandidatinnen und Kandidaten immer ein mehrseitiges Exposé. Darin stehen alle wichtigen Informationen über Rolle, Kontext, Team, Herausforderungen, Kultur, Aufgaben und Rahmenbedingungen. Wer dann den Prozess weiterverfolgen möchte, hat also bereits einen guten ersten Eindruck über das Unternehmen und die Position, um die es geht.

Und trotzdem höre ich dann häufig: „Wie sieht das genaue Gehaltspaket aus?“ „Welche Entwicklungsmöglichkeiten gibt es langfristig?“ „Ich glaube, der Aufgabenbereich passt nicht hundertprozentig zu mir.“

Natürlich verstehe ich das Bedürfnis nach Effizienz. Grundsätzliche Kriterien müssen stimmen. Aber bevor ein Gespräch stattgefunden hat, kann man nun einmal kaum beurteilen, wie gut das Unternehmen und die Rolle wirklich passen; weder fachlich noch kulturell.

Ich denke dann oft: „Das musst du jetzt auch nicht wissen. Dafür sprechen wir ja.“

Viele verschließen Türen, bevor sie überhaupt durch den Türrahmen geschaut haben. Manche sagen auch: "Ich möchte deine Zeit nicht in Anspruch nehmen, wenn es eh nicht passt.". Dann denke ich: "Wenn ich dich kontaktiert und die Rolle vorgeschlagen habe, bin ich bereit, meine Zeit zu investieren. Nimm dieses Angebot doch einfach an."


3. Unternehmen tappen in dieselbe Falle

Das Phänomen gibt es auf beiden Seiten: Wenn ich Kandidaten bei Unternehmen präsentiere, höre ich oft: „Ich weiß nicht, ob er in dem Bereich wirklich genug Erfahrung mitbringt.“ „Sie könnte kulturell vielleicht nicht passen.“ „Ich bin unsicher, ob er strategisch stark genug ist.“

Und wieder lautet meine Antwort: „Das kannst du jetzt doch auch noch nicht wissen, sprich doch einfach einmal mit der Person.“

Es geht nicht darum, jemanden sofort einzustellen, sondern darum, einen Menschen kennenzulernen, der potenziell gut zur Rolle passt. Und es passiert regelmäßig: Wenn Unternehmen dann doch das Gespräch führen, sind sie oft positiv überrascht, manchmal begeistert und häufig lösen sich die anfänglichen Bedenken schnell in Luft auf. Und eins höre ich praktisch nie: "Das Gespräch hätte ich mir sparen können."


4. Die Kosten vorschneller Ausschlüsse

Ein Kennenlern-Gespräch ist kein Risiko. Aber vorschnelles Ausschließen ist eins.

Unternehmen kostet es:

  • mögliche Traumkandidaten
  • wertvolle Kontakte, auch, wenn es am Ende nicht zu einer Einstellung kommt
  • Perspektiven und Erkenntnisse, die für den weiteren Prozess erhellend sein können.

Kandidaten kostet es:

  • Erfahrung und Übung, an einem (weiteren) Recruiting-Prozess teilzunehmen
  • Informationen darüber, wie das Unternehmen einen wahrnimmt und wie die Passung zu der konkreten Rolle eingeschätzt wird
  • ein Kontakt, aus dem sich auch etwas anderes ergeben kann, z. B. eine Empfehlung an ein anderes Unternehmen oder eine andere Position in derselben Firma

Und es kostet etwas, das man nicht sofort bemerkt: Beweglichkeit.


5. Mein Impuls

Bevor du das nächste Mal vorschnell ausschließt, frage dich:

  • Welche Möglichkeit verpasse ich, wenn ich nicht einmal spreche?
  • Welche Vorbehalte basieren auf Annahmen und Vorurteilen statt auf echten Erkenntnissen?
  • Welche unerwarteten Chancen habe ich in meinem Leben bereits erhalten, weil ich offen geblieben bin?

Nein sagen kann man immer noch. Aber Ja sagen kann viel verändern.

Über den Autor

Dr. Sebastian Tschentscher findet mit seiner Executive Search Boutique „Digital Minds“ die besten digitalen Köpfe für Ihr Unternehmen.

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