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Feinde des Fortschritts - Teil 1: Warum wir aus Flugzeugen hinaus- und in Waschmaschinen hineinschauen wollen

In Backöfen sollte man von außen hineinsehen können. Den Bräunungsgrad der Pizza möchten wir beurteilen, ohne dafür die Klappe öffnen und unnötig Hitze entweichen lassen zu müssen. Das ist gut so, hat seinen Sinn und soll auch so bleiben.

Auch Waschmaschinen kann man von außen einsehen. Das ist ebenfalls ganz schön und sogar neugierige Katzen mögen es - wie wir aus zahlreichen Social-Media-Clips wissen. Aber wozu eigentlich? Offenbar war es früher so, dass man die Tür jederzeit öffnen konnte, auch wenn der Waschgang nicht beendet und das Wasser noch nicht abgepumpt war. Das gab natürlich eine riesen Sauerei. Also war es ein kluges und einfaches "Feature", die durchsichtige Bullaugentür einzusetzen. Das erklärt auch, warum wir in Trockner und Geschirrspüler nicht schauen können: Bau- und funktionsbedingt läuft da nichts aus, wenn man einfach zwischendurch mal die Tür aufreißt.

Wenn wir das machen, verprellen wir die Kundschaft.

Ich kann mir bildlich vorstellen, wie in Produktentwicklungssitzungen der Waschmaschinenhersteller schon des Öfteren das Technik- oder Forschungsteam vorgeschlagen hat, bei einem neuen Modell auf die dursichtige Tür zu verzichten. Der ursprüngliche Grund sei ja weggefallen: Eine Sperre verhindert, dass die Tür vor Ablauf des Programms geöffnet werden kann und ein anderes Design wäre günstiger, technisch einfacher oder sonst von Vorteil. Marketing und Vertrieb schlagen Alarm: Die Kunden wollen eine durchsichtige Tür. Sie kennen es nicht anders, möchten in die Waschmaschine hineinschauen und kaufen kein anderes Modell. Thema erledigt, die Tür bleibt wie sie ist.

Na und? Es ist doch völlig egal, ob Waschmaschinentüren durchsichtig sind oder nicht, welcher Fortschritt, welche Innovation wird denn da schon groß verhindert?

Ein bisschen geht es mir ums Prinzip, aber ok, anderes Beispiel:

In jedem Passagierflugzeug sind Fenster, damit man schön rausgucken kann. Es sind schon Beziehungen an der Frage zerbrochen, wer auf 22A - am Fenster - sitzen darf und wer sich auf 22B - den Mittelplatz - quetschen muss. Wir wollen gerade bei Start und Landung die Welt bewundern und auf Hinweis des Piloten vielleicht sogar ein Gebirge oder eine seltene Wolkenformation beobachten. Und sollte es mal einen Notfall geben, wollen wir schließlich auch sehen, was draußen los ist, obwohl die Handlungsoptionen von Passagieren in solchen Fällen ja bekanntlich überschaubar sind.

Neulich las ich über ein neues Flugzeugdesign: Ein Modell, das nur aus einem V-förmigen Flügel besteht, viel effizienter, verbraucht deutlich weniger Treibstoff. Auf Fenster müsste aber wohl verzichtet werden, so dass die Frage aufgeworfen wurde, ob die Menschen das akzeptieren und so ein Design wirklich Chancen hätte. Hier könnte also eine lieb gewonnene - aber überflüssige - Gewohnheit eine Bremse für echten Fortschritt und eine wichtige Innovation sein.

Was kann man daraus ableiten? Ich ziehe drei Schlüsse:

Erstens: Eine innovative Produktentwicklung darf keine Rücksicht auf Kundengewohnheiten nehmen.

Ich erinnere mich noch gut an die Meldung, dass Apple bei seinem Iphone den "Home-Button" abschaffen will. "Bitte nicht!", hörte man förmlich die weltweite User-Community aufschreien. Wir brauchen diesen einzigen haptischen Halt, der uns buchstäblich "nach Hause" bringt zum Ausgangsmenü und der auch den Fingerabdruck erkennt. Inzwischen wissen wir, dass Face-ID und das Nach-Oben-Wischen genauso gut oder sogar besser funktionieren. Apple stellt durch seine interne Organisation und seinen konsequenten Innovationsprozess sicher, dass Bedenken nicht mehrheitsfähig sind, sinnvolle Neuerungen immer Vorfahrt haben und dass Kundengewohnheiten verändert und sogar neu definiert werden können.

Zweitens: An fehlendem Wandlungswillen sind nicht immer die anderen Schuld.

Jeden Tag spreche ich mit Menschen aus vielen verschiedenen Unternehmen über Transformationen, Digitalisierung, Wachstum, neue Geschäftsmodelle und generell Veränderungsprozesse. Fast überall wird beklagt, dass die mangelnde Bereitschaft zur Veränderung den nötigen kulturellen Wandel bremse oder gar ganz verhindere. Agiles Arbeiten, ja, das ist wichtig, aber versuchen Sie das mal bei unserer großen Organisation überall einzuführen.

Ich verstehe das, aber manchmal stört mich, dass da eine herablassende Haltung eingenommen wird - nach dem Motto: Ich will ja, aber alle anderen wollen sich nicht verändern. Ich glaube nicht, dass Menschen generell Veränderungen ablehnen oder innovationsfeindlich sind. Sie sind skeptisch, weil ja nicht jede Veränderung zu einer Verbesserung führt. Und das Festhalten an lieb gewonnen Gewohnheiten steckt - wenn wir ehrlich sind - tief in uns allen, wie die oben genannten Beispiele zeigen.

Drittens: Am besten überzeugen, notfalls gegen Widerstände durchziehen und Verantwortung übernehmen.

Was also tun, wenn man in Organisationen Veränderungen herbeiführen möchte und auf Widerstände stößt. Ich glaube, es gibt zwei Wege:

Im Idealfall überzeugt man und stellt klar heraus, was das Ziel ist und warum der künftige Zustand besser sein wird als der aktuelle. "Nichts ist mächtiger als eine Idee zur richtigen Zeit.", wusste schon Viktor Hugo im 19. Jahrhundert. Der Fokus sollte also auf dem Zielzustand liegen, der erreicht werden soll, nicht auf dem Weg dorthin. Es wird zu viel über Change und zu wenig über Zielzustände gesprochen. Nur mit einer überzeugenden Vision kann man aber Menschen wirklich begeistern und ihr Verhalten beeinflussen.

Wenn das nicht funktioniert, bleibt nur die Anordnung, also die Umsetzung auch gegen interne Widerstände. Dann muss aber auch die Bereitschaft da sein, Verantwortung zu übernehmen, wenn die Veränderung scheitert. Mein Gefühl ist, dass das in vielen Unternehmen das eigentliche Problem im Hinblick auf die Veränderungen ist: Der fehlende Wille der Führungsriege, Transformationen wirklich voranzutreiben, mit eigenem Beispiel voranzugehen und auch bereit zu sein, persönlich im Falle des Scheiterns Verantwortung zu übernehmen.

Eigentlich ist es ja auch ganz schön, aus dem Flugzeugfenster zu schauen und wer weiß schon, ob das neue Modell wirklich so viel Treibstoff spart. Und in meine Waschmaschine will ich auch weiter gucken können.

Über den Autor

Dr. Sebastian Tschentscher findet mit seiner Executive Search Boutique „Digital Minds“ die besten digitalen Köpfe für Ihr Unternehmen.

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