1. Vom Statussymbol zur Zumutung
Früher war Führung das logische Ziel jeder ambitionierten Karriere. Wer etwas werden wollte, wurde Vorgesetzter und übernahm damit ein Team, Budget, Titel und Büro.
In meiner Zeit im Konzern galt eine einfache Formel: Macht = Budget × Headcount. Je mehr Mitarbeitende, desto besser. Je größer das Budget, desto mehr Einfluss. Natürlich gab es auch Fachlaufbahnen, aber die galten als zweite Liga. Führung bedeutete: Man hat es geschafft.
Natürlich ist all das in vielen Unternehmen und Branchen immer noch genau so. Aber ich merke auch, es hat sich etwas verändert: Viele junge Menschen streben gar nicht mehr nach Führungspositionen. Nicht, weil sie weniger ehrgeizig wären, sondern weil sie genauer hinschauen, was sie wirklich wollen. Und weil sie alte Gewissheiten nicht unkritisch übernehmen, sondern hinterfragen.
2. Führung hat für viele ihre Anziehungskraft verloren und das ist gesund
Ich halte das nicht für ein Zeichen von Bequemlichkeit, sondern für Reife. Führung ist kein notwendiger Karriereschritt mehr, sondern eine bewusste Entscheidung mit Licht und Schatten.
Denn wer führt, weiß: Es geht nicht nur um die schönen Themen von gemeinsamer Strategie, und geteilten Zielen und Visionen, sondern oft um sehr menschliche Themen: Unzufriedenheit, Vergleich, Konflikte, Trennungsgespräche.
Ich habe in meinen 15 Jahren klassischer Unternehmenskarriere viele Teams geführt - in der Spitze über 30 Menschen. Das war erfüllend, aber auch belastend. Vieles drehte sich um zwischenmenschliche Spannungen: Wer fühlt sich benachteiligt? Wer möchte mehr Gehalt? Wer bekommt das spannendere Projekt?
Manchmal war Führung weniger inspirierend als schlicht anstrengend.
3. Kleine Teams, große Wirkung
Heute habe ich ein kleines Team und bin dankbar dafür. Ich arbeite mit Menschen, denen ich vertraue, die Verantwortung übernehmen und mit denen ich Führung auf das Wesentliche reduzieren kann:
gemeinsam denken, entscheiden, gestalten.
Ich führe weniger und wirksamer zugleich. Führung ist für mich heute kein Karriereziel mehr, sondern ein Mittel für effektive Zusammenarbeit, für bessere Ergebnisse, für gegenseitige Unterstützung und Förderung.
4. Eine neue Generation, neue Prioritäten
Ich erlebe in der Beratung eine deutliche Verschiebung: Führung wird zunehmend als Option betrachtet, nicht als Pflicht.
Viele junge Talente fragen sich: Will ich führen – oder will ich anders gestalten? Will ich Verantwortung für Menschen – oder für meine Ideen? Will ich in erster Linie selbst wachsen – oder auf jeden Fall andere führen?
Diese Fragen zu stellen, ist wichtig. Denn wer Führung nur aus Statusgründen anstrebt, scheitert früher oder später an der Realität.
5. Mein Impuls
- Wann hast du zuletzt bewusst geprüft, ob du wirklich führen willst oder einfach glaubst, dass du es solltest?
- Was bedeutet Führung für dich: Einfluss oder Gestaltung?
- Und wie könntest du sie neu denken, mit weniger Ego, aber mehr Wirkung?
Führung ist kein Status mehr, sondern eine Haltung. Und vielleicht ist das die beste Entwicklung, die sie nehmen konnte.