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Die Blackbox in unserer Mitte

In meinem Büro denke ich abends – wenn die Termine des Tages zu Ende sind – gern über die vielen Gespräche nach, die ich so führe. Neuerdings beschäftigt mich ein Thema dabei mehr und mehr: die Kultur in Unternehmen. Das Thema betrifft alle Führungskräfte, aber die Mehrheit weicht ihm aus. Eine interne Herausforderung in Sachen Kultur hat bei uns im Team und bei mir einen Prozess und Gedanken angestoßen, die ich in Zukunft hier teilen und weiterentwickeln möchte. Wie es dazu kam? Das ist ein paar Zeilen wert und eine Reihe zum Thema: Ab jetzt teile ich Gedanken und Gespräche mit anderen Führungspersonen dazu regelmäßig hier.

Größte Distanz: Kultur, die Unberührbare im System

Viele meiner Gespräche drehen sich um Digitalisierung. Fast immer geht es dabei darum, dass die interne Unternehmenskultur das größte Hemmnis für eine umfassende und zügige digitale Transformation darstellt. Umgekehrt belegen Studien, dass Unternehmen, die die Digitalisierung erfolgreich meistern, aktiv in ihre Kultur investieren. Deshalb würde auch jeder DAX-Vorstand die Bedeutung von Kultur öffentlich unterstreichen, wenn er danach gefragt wird. Unter vier Augen sieht das etwas anders aus: Als ich einen Vorstand kürzlich auf Kulturwandel ansprach, lachte er und sagte: „Versuchen Sie mal für 80.000 Leute in 30 Ländern die Kultur zu verändern.“ Ich sah förmlich den Ozean zwischen den internationalen Standorten des Unternehmens vor mir, und ich verstand seinen Punkt: Die Kultur prägt das System, und wie gut das System funktioniert, entscheidet über Erfolg oder Misserfolg des ganzen Unternehmens.

Warum das für mich eine persönliche Angelegenheit ist

Bevor ich 2018 in die Personalberatung eingestiegen bin, war ich nahezu fünfzehn Jahre lang Teil mittelgroßer und sehr großer Organisationen. Wenn man dort an der Strategie- und Unternehmensentwicklung arbeitet, berührt man unmittelbar die Interessen der oberen Führungsebene. Ich kannte bereits viele politische Sensibilitäten und hatte unzählige unnötige Klippen umschifft, als ich an meinen persönlichen Wendepunkt kam. An diesem Tag leitete ich einen Workshop, den ich vorbereitet hatte. Anwesend war die gesamte Geschäftsführung. Am Tisch saßen zwei Geschäftsführer, die gegeneinander arbeiteten. Während des gesamten Workshops trugen sie ihren Konflikt aus – über mich. Ich wurde hart, nahezu persönlich angegangen. Es war allen Anwesenden klar, dass ich stellvertretend unter die Räder kam. Meine Arbeit hätte so weitergehen können. Aber für mich endete in diesem Konferenzraum die Hoffnung, in einem solchen System sinnvoll arbeiten zu können. Mir war klar, dass ich keine neue Stelle wollte, sondern ein neues System, eine andere Art der Zusammenarbeit. Die Kultur – also die Art, wie Menschen miteinander umgehen und handeln – war somit für mich persönlich der entscheidende Schritt für einen Wandel. Inzwischen weiß ich, dass es nicht nur darum geht, sich bei der Arbeit wohlzufühlen und persönlich Wirkung entfalten zu können, sondern um viel mehr. Es geht um Transformation und Digitalisierung – auch für eine digitale Personalberatung

Warum das wichtig ist

Seit vielen Jahren bin ich im Recruiting in der digital Wirtschaft unterwegs. Die Suche nach Mitarbeitenden für neu gegründete Ventures im Digitalbereich war eine schwierige und dauerhafte Aufgabe. Dabei wurde immer wieder deutlich, dass klassische Personalberatungen oft nicht helfen konnten: Zum einen war kaum eine Agentur auf die erforderlichen Profile spezialisiert. Zum anderen arbeiteten die meisten Dienstleister sehr klassisch, ohne moderne Tools und Prozesse, so dass die Ergebnisse mäßig waren. Die Search konnte nicht alle digitalen Kanäle erfassen, es wurde oft intransparent und ineffizient gearbeitet. Unternehmen aus der digitalen Wirtschaft, speziell aus Company Buildern, entspringen in der Regel einer anderen Logik. Sie arbeiten datengetrieben, strukturieren ihre Informationen kooperativ, ihre lernende Software lebt von geteiltem Wissen: Die Maschine wird dadurch gefüttert, dass Informationen fließen und zentral zusammenlaufen.

Das Leadership-Problem in People & Culture

Meine These ist: Wir als CEOs arbeiten noch nicht systematisch mit den Werkzeugen für Veränderung, obwohl sie bei uns liegen. Mehr noch: Wir blenden aus, wie viel Kultur in scheinbar neutralen Führungsentscheidungen steckt. Indem wir Kultur auf Meetingformate, Duzen und Yogakurse reduzieren, machen wir sie für die Führung zur Blackbox und bremsen Transformation aus – in einer längst digitalen Wirtschaft. Die Betriebswirtschaftslehre hat uns großartige Werkzeuge beschert, uns aber auch in eine Kulturblindheit geführt. Heute wird der Verantwortungsbereich Kultur zwar genauer betrachtet, progressive Unternehmen ernennen eigene Verantwortliche. Schön und gut. Aber: Wenn Kultur allein als Personalthema verstanden wird, entziehen wir sie der Führung. Dem entgegen steht Culture Leadership, die Theorie, dass Führungskräfte die Initiatoren und Hüter der Kultur sind. Paradox genug: Dieses Verständnis von Kultur wird gerade in top-down-geführten Konzernen meist nicht gelebt.

Executing Culture: Hebel im System

Ich bin überzeugt, dass Transformation, Technologie, Diversity, Cancel und Stay Culture nicht allein durch den Verantwortungsbereich People & Culture gelöst werden können. Sie sind tief verankert in der Art wie wir Entscheidungssysteme anlegen, ob wir an Konkurrenz glauben, wie wir befördern, und was wir belohnen. Für unsere Agentur-Gruppe entwickeln wir deshalb gerade ein neues Incentivierungsmodell. Außerdem habe ich beschlossen meine eigene Rolle zu verändern. Mit meinem Team habe ich eine neue Aufstellung erarbeitet, durch die ich mehr Zeit in die aktive Steuerung von Kultur investieren kann, im Unternehmen – und durch eine offene Reihe mit Beiträgen und Gesprächen hier. Mein Ziel ist es, systematisch exekutive Hebel zu diskutieren, über die wir Kultur – und damit das System – verändern können. Darüber will ich in nächster Zeit hier schreiben und sprechen: mit anderen CEOs und Expert:innen. Mich interessiert deshalb: Welche Erfahrungen gibt es im Markt mit der Reibung zwischen Kultur und Managemententscheidungen, Incentives und Werten? Welche Werkzeuge setzen Kolleg:innen ein, wo hakt es, wie wurden Hürden überwunden?

Über den Autor

Dr. Sebastian Tschentscher findet mit seiner Executive Search Boutique „Digital Minds“ die besten digitalen Köpfe für Ihr Unternehmen.

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